Schiffe begegnen in der lateinischen Literatur immer wieder. Dass sie entgegen landläufiger Annahme häufig auch menschliche Züge haben können und wie sich ihre „personality“ äußert, zeigt uns Johanna Prediger. https://s.gwdg.de/j9YucR
Johanna Prediger, unser Gast in dieser Folge, räumt die Fehlannahme aus dem Weg, dass Latein nur etwas für Nerds im Elfenbeinturm ist. Als Beweis liefert sie unter anderem das folgende Video zur Demokratieförderung – auf Latein! Darin blicken die olympischen Götter auf das Geschehen auf Erden und kommentieren dies – in ihrem (demokratischen) Sinne.
In ihrer Bachelorarbeit wollte sich Johanna mit der „Ästhetik des Grauens“ bei Lucan beschäftigen anhand der Seeschlacht von Massilia. Letztlich hat sie sich dann den Schiffen als Handlungsträger und ihren Persönlichkeiten (im Epos) gewidmet. Die Idee von Schiffspersönlichkeiten findet sich auch in anderen Gattungen (zum Beispiel in Catulls c. 4), in dieser Folge geht es aber speziell um das Schiff im Epos.
Wie typisch ist es in „der antiken Literatur“, dass Gegenstände eine Persönlichkeit haben?
Theoretisch sind Körpermetaphern wie „Tischbein“ schon personifizierend – bei Schiffen gibt es da etwa die Ruderarme. Ansonsten werden in der Ilias beispielsweise Bogensehnen personifiziert. Es scheint ein geläufiges Stilmittel, aber die Ausprägung ist unterschiedlich. Bei Lucan würden, so Johanna, beispielsweise auch Türme personifiziert, die selbstständig „herankriechen“. Außerdem finden sich sprechende Bücher und außerdem werden Götter für ihren Zuständigkeitsbereich personifiziert (Aurora = Morgenrot z.B.)!
In welchen Epen kommen Schiffe überhaupt vor und wie lassen sie sich charakterisieren?
Frühes Beispiel: Schiffskatalog in Homers Ilias. Die Schiffe sind dort nicht personifiziert, sondern werden zusammen mit ihren Anführern dargestellt und als „schwarz“, „schnell“ oder „rotwangig“ (Menschen!) charakterisiert. Vielleicht noch älter: die Argo! Der Mythos ist älter als das Epos aus dem 3. Jhdt. v. Chr. (Apollonios von Rhodos) und spielte vermutlich eine größere Rolle „als Mensch“ in der vorhomerischen Tradition. Bei der Argo könnte man noch am ehesten sagen kann, dass sie zu sprechen in der Lage war (oder dass zumindest eine Gottheit durch sie gesprochen hat). Die Argo wird als Mutter der Argonauten bezeichnet (Stichwort kamatoi – Geburtswehen einer Mutter) und greift auch in ihrer Funktion als Schiff in die Handlung der Geschichte ein. Athene haucht der Argo ihr „pneuma“ ein (welches sie, je nach Überlieferung, auch den Menschen mitgegeben hat, woraufhin diese mit Leben erfüllt werden) und verleiht ihr somit den sprichwörtlichen „Wind in den Segeln“. Auch von Valerius Flaccus gibt es ein Argonautenepos.
Sind Schiffe im Epos (auch) weiblich? Und warum?
Ja! Schiffe sind ja aus Holz gemacht und das ist bedeutsam, und Bäume sind in der antiken Kultur auch durchgängig personifiziert durch die Nymphen (immer weiblich), die darin leben! Deshalb sind auch die lateinischen Vokabeln für Bäume feminini generis.
Was verbindet ein:e antike:r Leser:in mit dem Stichwort „Meer“?
Bedrohlichkeit, Unglück, im Roman: Abenteuer! Im Epos: v.a. Strapazen (z.B. Ilias: Die Schiffe laden ja erst die Soldaten vor Troja ab, welche 10 Jahre Krieg bringen). Nicht nur ein verlässliches Schiff ist notwendig, um wohlbehalten am Ziel anzukommen, sondern auch eine gewogen gestimmte Gottheit. Man kann das Ganze auch poetologisch ausdeuten (z.B. in der Odyssee): Die Schifffahrt bringt Odysseus nach Hause, bedingt Handlungsfortschritte und steht sinnbildlich auch für den Fortgang des Gedichts an sich. In Lucans und Neros Zeit wird das Meer zunehmend zum „Show“-Raum degradiert, indem man Naumachiae im Amphitheater veranstaltet.
Lucan und Nero
Um Kaiser Nero ranken sich zahlreiche Geschichten (z.B. dass er Rom abgebrannt haben soll), griechische Schriftsteller schätzen ihn als gar nicht so unfähig ein (aufgrund von griechenlandfreundlicher Politik). Lucan ist ein Dichter, der ein historisches Epos hinterlassen hat – die Pharsalia bzw. das Bellum civile (es behandelt den römischen Bürgerkrieg zwischen Pompeius und Caesar) und der im Rahmen der pisonischen Verschwörung dazu gezwungen wurde, im Alter von 26 Jahren Selbstmord zu begehen. Und in diesem Epos kommen auch Schiffe vor, in der Episode über die Seeschlacht von Massilia (im dritten von zehn Büchern).
Das „Superschiff“
Das „Superschiff“ ist riesig groß und grammatisch immer Subjekt, nicht sein Admiral Decimus Brutus! Als es das entscheidende Manöver fährt, opfert es sich dadurch selbst, erlebt also gewissermaßen eine Aristie – etwas, das für gewöhnlich (menschlichen) Heroen vorbehalten ist.
Das „opus in opere„
Wechsel ins Buch vier: Um nach Ilerda überzusetzen, wird ein Floß gebaut, auf dem zusätzlich TÜRME errichtet werden.
Die „schnellen Renn- und frechen Geisterschiffe“
Dieser Schiffstypus ist besonders schnell – und besonders „menschlich“. Außerdem wird auf sie Vokabular angewandt, das auch zur Beschreibung der Bewegung von Menschen und des Landheeres benutzt werden (lacessere pugnam, fugam temptare; zusätzlich: stare, stabilis, statio; cornua). Und sie reagieren sehr sensibel, geradezu autonom: „nec tardae flectenti cedere clavo“ – der Steuermann muss das Ruder kaum anfassen und schon lenken die Schiffe. (Ein „Steuermann“ kommt in dieser Episode gar nicht explizit vor. Noch ein Argument für die Eigenständigkeit des Gegenstands?)
Eigendynamik trotz mangelnder Götter?
Der Massilia-Episode ist eine Holzfällaktion in einem düsteren Hain vorgeschaltet. In den Pharsalia gibt es keine Götter, also auch keine Nymphen in den Bäumen, aber trotzdem bewegen sich die Bäume von allein. Gruselig! Mittels der aus diesem „Horror-Hain“ gewonnenen Stämmen wird zunächst ein Wall errichtet, anschließend auch Schiffe. Die Bäume werden so immer aktiver bzw. entwickeln sich von etwas Festem, Standhaften (dem Wall) zu etwas Dynamischem (den Schiffen). Anstatt der Nymphen überträgt sich so die Eigeninitiative und -bewegung des Hains kontinuierlich auf die Schiffe.
Ja, und die Menschen?
Wenn der Mensch so weit in den Hintergrund rückt, wird der Gegenstand (wie wir gesehen haben) in gewisser Weise vermenschlicht. In einem Epos, in dem Bürger gegen Bürger kämpft und in dem auch Götter keinen Platz haben, ist es fraglich, ob es überhaupt Aristien von „Heroen“ geben kann. In der Seeschlacht werden Menschen auch ganz wörtlich zu Gegenständen: Zum Schild etwa, oder zum Katapult.
Den Kreis schließen die besagten Naumachiae: Die Schiffe in den Pharsalia bieten in mancherlei Hinsicht eine „dramatische“ Vorstellung und treten dadurch, so Johanna, als „neronische Showmaker“ auf den Plan.