004 – Übersetzen ist trivial

Dass es beim Übersetzen von Texten um mehr geht als nur stumpf Interpretamente aus Wörterbüchern aneinander zu reihen, zeigen wir in dieser Folge. Kommt mit und umschifft zusammen mit uns die Untiefen von Versmaß, Fremdwörtern und Groß- und Kleinschreibung.

In dieser Folge stellen wir euch ein Gedicht von Giovanni Pascoli aus dem Zyklus der Poemata Christiana vor, das Fanum Apollinis – den Apollontempel. Obwohl es sich um ein Gedicht handelt, hat Nadine diesen Text in deutsche Prosa übrtragen, weil sie sich ihrer Ansicht nach in nicht gebundener Sprache besser ausdrücken kann und andererseits aufgrund der unterschiedlichen Voraussetzungen: Der lateinische Hexameter funktioniert nach einem quantitierenden, also Längen und Kürzen messenden Prinzip, während wir im Deutschen auf ein akzentuierendes System zurückgreifen und so betonte unbetonten Silben gegenüberstellen. Die quantitierende Natur des lateinischen Ausgangstext ginge somit auch bei einer Übersetzung in deutsche Verse verloren.

Zu Beginn des Texts wird der überwucherte Tempel beschrieben und ein alter Tempelwächter vorgestellt, der die Statue des jungen Apollon hütet und den Tempel sauber hält. Diese Passage ist geprägt von speziellen Ausdrücken aus dem Bereich der Architektur, die auch in Übersetzung erklärungsbedürftig sind. So muss etwa in einer Fußnote erklärt werden, dass mit „Cella“ der Hauptraum der Tempelanlage gemeint ist oder dass Triglyphen so aussehen. Der Fokus verschiebt sich wie eine Kamerafahrt von außen nach innen, vom verlassenen Strand über die bewachsene Umgebung hin zum Tempelhüter und zuletzt zur Götterstatue. Auffällig sind mehrere große Hyperbata, in denen zwei zueinander gehörige Bezugswörter jeweils zu Beginn und Ende eines Verses gesetzt werden und so Spannung erzeugt wird, da erst später klar wird, worauf überhaupt Bezug genommen wird: Halb eingestürzt standen aufgrund ihres Gürtels aus Efeu die Säulen da. Solche Konstruktionen im Deutschen nachzubilden ist nicht immer möglich, obwohl damit ja leider ein wichtiger Bestandteil der Leserführung verloren geht.

Verschiedene Entitäten des paganen Mythos haben den Ort bereits verlassen, da sich das Christentum an ihrer Stelle ausgebreitet hat. Dieser christliche Hintergrund muss auch bei einer Übersetzung berücksichtigt werden, da christliche Prätexte (intertextuell) abgerufen und vorausgesetzt werden, die man bei paganen antiken Texten oder auch bei den Sosii so nicht findet.

Im weiteren Verlauf des Texts erscheint ein Hirte, der dem Apollon ein Opfer darbringen möchte. Plötzlich erscheint jedoch eine christliche Meute, die den Ort durch einen christlichen Priester purifizieren lassen möchte. Der alte Tempelwächter Actius erkennt jedoch den Christen Heron als ehemaligen Schulkameraden. Gerade als sie sich darauf einigen, zumindest die Statue des Apollon nicht anzurühren, zerstört der christliche Mob allerdings die Figur. Zum Schluss erklingt ein christlicher Hymnus, in dem Christus als größer als die Sonne (und damit Apollon) beschrieben wird. Der Versuch, zwischen beiden Welten zu vermitteln, der antik-paganen und der christlichen, scheint dadurch letztlich doch gescheitert.

Man kann als Übersetzerin in diesem letzten Abschnitt bei der Wendung tecta Dei in zwei Richtungen interpretieren: Gehört der Tempel noch Apollon, übersetzt man „unter das Dach des Gottes„. Ist er bereits dem Christengott übereignet, müsste man „unter das Dach Gottes“ übersetzen. Da das Wort deus hier jedoch groß geschrieben ist, liegt die letztere Version vermutlich näher. Aber Groß- und Kleinschreibung beruht in einer Edition ja meistens auch nur auf Interpretation seitens des Editors…

Wenn man übersetzt, dann positioniert man sich: Jede Übersetzung ist somit auch eine Interpretation und es geht um viel mehr als nur darum, Wort für Wort aus dem Wörterbuch aufs Papier zu übertragen.

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