013 – Eklo-ho-hoge IV, oder: „Weihnachten“ vor Christi Geburt

Es ist wieder soweit, das Weihnachtsspecial von Errare Romanum est steht an. In diesem Jahr werfen wir einen Blick auf die Saturnalien und lesen einen antik-paganen Text, der sich auch gut christlich (mis-)interpretieren lässt. Felix dies natalis domini sit vobis!

Neujahrs- und „Weihnachts“bräuche in der Antike? => Rom, 17. Dezember, vielleicht 100 vor Christus. Es sind Saturnalien. Die haben nichts mit Satyrn zu tun, sondern mit Saturnus, dem römischen Äquivalent zu Kronos und Gott von Aussaat und Ackerbau. Dieses Fest erstreckte sich über mehrere Tage. Währenddessen wurde die gesellschaftliche Ordnung offenbar zu einem gewissen Grad ausgesetzt: Exzessive Trink- und Essgelage mit Spottgedichten, Rätseln, gelehrten Gesprächen (wild!), bequemere Kleidung, auf einmal ist Glücks- und Würfelspiel erlaubt, es werden Geschenke ausgetauscht, UND soziale Hierarchien werden ausgehebelt – Stichwort Herren und Sklaven! Besondere Freiheiten für Letztere während der Saturnalien => Reflex des Goldenen Zeitalters unter der Herrschaft Saturns, als alle Menschen gleich waren (und hier schließt sich der Kreis). Es wurde auch ein Saturnalicius princeps gewählt, gewissermaßen als „Zeremonienmeister“. (Kaiser Claudius als „ewiger Saturnalicius princeps“ aufgrund politischer Entscheidungen, als würde er das ganze Jahr über Saturnalien feiern, laut Apocolocyntosis) => An den Saturnalien steht die Welt kopf!

Heute lesen wir die Eklo-ho-hoge IV, einen bukolischen Text. Bukolik = Hirten- / Pastoral- / Schäferdichtung, die an Theokrit (Idylle – intertextuelles Vorbild) anschließt, in diesem Fall von Vergil: zehn Eklogen („Bucolica“) zusammengestellt in einem Buch (erste für uns greifbare bukolische Dichtung in Rom). Gelegentlich werden in den Bucolica die Grenzen dieses Hirten-Ambientes überschritten. Trotzdem handelt es sich dabei in erster Linie um Lieder von Hirten, die in einer Ideallandschaft (locus amoenus als Konglomerat von Sizilien [Theokrit!], Oberitalien, Arkadien?) singen. In diese Ideallandschaft dringen jedoch auch Elemente der als negativ empfundenen (?) realpolitischen Umwelt oder Tod ein. Die Eklogen sind teilweise Wettgesänge in Dialogform (ungeradzahlige Eklogen), teils werden sie aktorial geboten (geradzahlige Eklogen). Wir lesen heute die Ekloge IV, also aus dem letztgenannten Bereich. Wir merken uns: Das Ich in einem Text muss nicht identisch mit dem Autor sein!

In der Ekloge IV geht es um einen Knaben, der ein goldenes Zeitalter wieder einleiten wird. Da läuten doch alle Glocken (pun intended) in unserer christlich gefärbten Weltsicht: Hat Vergil da die Ankunft Jesu vorhergesagt? Wir wandeln auf den Spuren eines Missverständnisses.

V. 1ff. Sicelides Musae, paulo maiora canamus: Sizilien = Theokrit = Bukolik! „Etwas Größeres“ – die Großform ist traditionell das Epos, in dem Helden (und nicht Hirten) auftauchen. Die als nächstes genannten niedrigen Pflanzen stehen für die niedrige Gattung der Hirtendichtung und ihres Personals. Das Thema (Göttlicher Knabe) schreit aber förmlich nach „mehr Epos in der Bukolik“.

V. 4ff. Ultima Cumaei venit iam carminis aetas: Sibylle von Cumae = Seherin, „sibyllinische Bücher“ = Sammlung von Orakelsprüchen. Wir befinden uns im letzten (= eisernen) Zeitalter. Aber es kehrt „die saturnische Herrschaft“ (= goldenes Zeitalter) wieder. Iam nova progenies caelo demittitur alto – lässt sich sehr schön auf Jesus beziehen! Aber was machen jetzt Lucina und Apollo da? Lucina wurde von Frauen in den Wehen angerufen und immer wieder mit Diana identifiziert, Apollo ist deren Bruder (und hat die Sibylle von Cumae inspiriert).

V. 11ff.: Teque adeo decus hoc aevi, te consule inibit, Pollio: Gaius Asinius Pollio, Konsul im Jahr 40 v.Chr.; während seines Konsulats wurde ein Friedensvertrag geschlossen, der Hoffnungen auf das Ende der tobenden Bürgerkriege weckte – „Reflex“ auf die außerliterarische Realität! Der Knabe wird vergöttlicht und mithilfe des Wirken seines Vaters wird der Erdkreis befriedet. (Jesus und Gottvater beseitigen die Erbsünde? Oder aber Beendigung des römischen Bürgerkriegs durch Oktavian/Augustus und Caesar?)

V. 18ff.: Das Äquivalent zu Gold-Weihrauch-Myrrhe für den Knaben. Alle leben in Harmonie miteinander, Hierarchien (Beute-Jäger) werden ausgehebelt (vgl. Saturnalien und goldenes Zeitalter!). Die Schlange stirbt aus (passt auch zum Christentum).

V. 26ff.: Der Knabe wird älter, viel idyllische Natur. Das goldene Zeitalter ist noch nicht ganz erreicht. Die Argo und ihr Steuermann Tiphys tauchen auch auf und spielen als mythisches Personal auf (heroische) Herausforderungen und Kriege an.

V. 37ff. Hinc, ubi iam firmata virum te fecerit aetas: Der Knabe wird erwachsen. Die nautica pinus erinnert uns an die letzte Folge (und steht metonymisch für ein Schiff aus Fichtenholz). Jetzt kommt das goldene Zeitalter endlich! Es wird ex negativo dargestellt (lauter non und nec). „Von der Kultur hin zur Natur“.

V. 46ff.: Auftritt der Parzen, die den Knaben auffordern: „Jetzt aber los!“ Alles wird „größer“, es geht um die Götter, Länder und Meere (und nicht mehr nur um Tiere und Menschen). Das versprochene „Epos“ in der Bukolik. Auch das lyrische Ich wird jetzt aktiver und will den Knaben besingen: o mihi tum longae maneat pars ultima vitae, spiritus et quantum sat erit tua dicere facta. Linus und Orpheus sind berühmte mythische Sänger, mit denen das lyrische Ich und sein Lied über den Knaben in Wettstreit treten => „Ich bin besser als Orpheus und Linus, auch wenn jenem die Mutter (Kalliope, die Muse), diesem der Vater (Apollo, Gott der Dichtkunst) beistehen“. Der Inhalt heiligt quasi die Dichtung. (Siehe christliche Dichter: „Wir sind besser als antik-pagane Dichter, weil wir ja über den wahren Gott schreiben“ => mehr dazu in dieser Folge)

V. 60ff. incipe, parve puer, risu cognoscere matrem: Rückkehr auf eine „mondäne“ Ebene? Die der Beziehung zwischen Mutter und Kind. (Die Christen unter uns denken vielleicht völlig anachronistisch an „oh, wie lacht“)

Wer ist denn jetzt dieser Knabe? Vielleicht das Kind aus der Ehe zwischen Octavian/Augustus und Livia gemeint, denn ein Sohn wurde erwartet, aber Iulia (ihre Tochter :D) war 39 v.Chr. bereits geboren…

Frohe Weihnachten an euch! Vielleicht stellt ihr euch ja jetzt Schafe mit bunter Wolle in die Krippe. Habt ein schönes neues Jahr.

Quellen dieser Folge:

[Die vorgelesene Übersetzung stammt aus Götte, J. und M., Bayer, K. (2014)!]

Distelrath, G. (2006). Saturnalia. In Der Neue Pauly Online. Brill. https://doi.org/10.1163/1574-9347_dnp_e1102380
Elvers, K., Fündling, J., Suerbaum, W., & Blänsdorf, J. (2006). Vergilius. In Der Neue Pauly Online. Brill. https://doi.org/10.1163/1574-9347_dnp_e12200940
Fantuzzi, M., & Stanzel, K. (2006). Bukolik. In Der Neue Pauly Online. Brill. https://doi.org/10.1163/1574-9347_dnp_e221280
Götte, J. und M., Bayer, K. (2014). Landleben: Catalepton, Bucolica, Georgica ; lateinisch und deutsch. Berlin.
Holzberg, N., Zimmermann, B. (2016). Vergil, Bucolica, Georgica. Berlin / Boston.

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