008 – Barockin‘ around the Christmas Tree exetera

Zu Weihnachten gibt es einen Ausflug ins 17. Jahrhundert zum Jesuskindlein, zu einem poeta laureatus und zu tanzenden Versen. Frohes Fest!

Paul Fleming: geb. am 5.10.1609 in Hartenstein/Sachsen; gest. am 2.4.1640 in Hamburg
Studium der Medizin in Leipzig (1628-33) mit Promotion zum Doktor (Leiden 1640); Gesandtschaftsreisen nach Russland (Moskau) und Persien (Isfahan) (1633-9); poeta laureatus; Bekanntschaft mit Martin Opitz (u. a.) – wirklich bedeutender Barockdichter mit deutschen und lateinischen Werken!

Lateinisches Werk: a) sieben Bücher Manes Glogeriani, über Studienkameraden Georg Gloger; b) zwölf Bücher Epigramme; c) neun Bücher Silvaewas sind Silvae? silva = Wald => „poetische Wälder“, i. S. v. Holz, also ein Werk, das vorgibt (!), poetisches „Rohmaterial“ darzustellen. Vorbild: Statius, Silvae

Die lateinischen Gedichte sind erschienen in einer Gesamtausgabe von 1863, besorgt von Johann Martin Lappenberg, aber die ist leider nur so semi-zuverlässig (weil darin unter anderem normalisiert wird) => Neuedition mit Übersetzung und Kommentar von Christian Harmes

Das Gedicht: aus den Silvae, im Buch neun Miscellanea, die Nr. 2, ganz am Schluss bei Lappenberg, Es findet sich im Anschluss an ein längeres Weihnachtsgedicht Flemings und umfasst 42 abwechselnd achtzehn- und zwölfsilbige Verse, ist also relativ kurz. Vorbild für den Text war wohl Caspar von Barths Deo sacrum (1623). Der Titel lautet „CHRISTO hodiè-NASCENTI hyporchema„, Hyporchema für den heute zur Welt kommenden Christus. – Was ist ein Hyporchema? ὑπορχεῖσθαι = tanzen => ein Tanzlied (Abgrenzung zu Dithyrambos und Paian nicht mehr klar); neulateinische Dichter vor allem geschult an Julius Caesar Scaliger, weniger an antiken Vorbildern. Zentrales Kennzeichen: Pyrrichier (Doppelkürzen)! => lauter als kurz gemessene Silben (mit gewissen Lizenzen)

Auf geht’s!

Verschiedene Leute singen dir verschiedene Lieder, du äußerst zartes, stattliches, junges Knäblein, da du heute erneut geboren wurdest: doch ich will dir meine kurzen Gesänge in kurzen Versfüßen singen. Kurzer Knabe, mein kurzes Werk soll bei dir Gefallen finden.

Das lyrische Ich ist nicht der Autor, wichtig! Man beachte im Lateinischen die vielen Diminutive, also Verniedlichungen (puerule, tenerule, novule), die sich auch im Rest des Gedichts finden und die unter anderem gut dafür geeignet sind, mehr kurze Silben zu generieren. Auffällig ist außerdem, wie stark betont wird, was alles kurz (brevis) ist, unter anderem die Versfüße, das Werk und der Knabe.

Ich gebe es zu, meine schlechten Taten, die sind wirklich schlecht. Meine Seele ist ganz ausgezehrt vor lauter Missetaten. Arzt, deine heilmittelbringende, den Himmel beherrschende Hand soll ihr helfen, und diese Sünden von ihr vertreiben. Mein elendes Elend schwächt mir die elende Seele, und eine feuchte Träne plagt das Auge. Ich tue nichts außer Schlechtes, so ergeht es mir schlecht: Ich sehe, was gut ist, doch ich kann es nicht tun. Meine Seele sieht das Schlechte und lehnt das ab, und dennoch folgt sie dem, was sie hasst. Das Schlechte will ich nicht, dennoch tu ich es. Das Gute, mag meine Seele auch den Wunsch haben, es zu tun, lasse ich. Ich bin so schlecht für mich: Ich schade mir, durch mich selbst gehe ich zugrunde. Der Teufel bedrängt mich auf beiden Seiten; durch meine Missetaten verdiene ich die satanischen Verstecke; auch den Hass deines Vaters verdiene ich dadurch. Was wird also übrig bleiben? Wo werde ich meine Zuflucht nehmen können?

Diese Passage erinnert an Beichtgeständnisse, obwohl die Sünden inkonkret bleiben – vielleicht, damit sich eine breitere Leserschaft mit dem lyrischen Ich identifizieren kann? Was heutigen Leser:innen vielleicht heuchlerisch vorkommen mag, sollte man jedoch nicht mit aufrichtigem christlichen Gedankengut verwechseln. Hier wird vermutlich auch auf die Erbsünde angespielt. Außerdem tritt das Jesuskind als Arzt / Heiler auf. Außerdem beachte man folgende massive Alliteration (wieder verbunden mit einem Diminutiv): Misera miseria mea mihi miserulum hebetat animum.

Als elender Mensch betrete ich deinen Stall, du Menschensohn, Himmelsbewohner, Gotteskind, Erdenwandler, stattliches, junges Knäblein. Die das Mahl schmeckende Erinnerung an dich heitert mein Herz auf, wie mein Augenlicht liebe ich dich von Herzen. Wie ich der deine bin, GOTT, so bitte ich dich, GOTT, der meine zu sein. So werde ich dir ähnlich sein, und du mir. Du bist ein Menschlein, wie ich: wie du GOTT bist, werde ich sein, sobald du es willst. Meine Seele wird so die deine sein.

Bei dem Mahl geht es vermutlich NICHT um das letzte Abendmahl, sondern um die Eucharistie! Harmes übersetzt an dieser Stelle: „Dann werde ich dir gleichen und du mir. Ein Mensch bist du, wie ich, ein Gott, wie du es bist, werde ich sein, wenn du es willst.“ Man könnte aber auch verstehen, dass das Ich wie Gott, eins mit Gott, sein will – eine große Rolle spielt bei der Interpretation dieser Stelle auch die Zeichensetzung: wie du, Gott, bist… <=> wie du (ein) Gott bist. Außerdem klingen hier Elemente der Liebesdichtung an.

Sorg dafür, dass schlechte Werke mir schlecht, gute gut gefallen, deine Verdienste sollen meine Verdienste sein. So verdient mir deine gnädige, gütige, gute Güte eine Wohnstatt im Himmel. So flieht mein Elend, und so werde ich ein neuer Mensch sein; so liebt dein Vater mich wieder. So halte ich nichts von der teuflischen Herrschaft, und fürchte nicht die finsteren Hallen der Hölle. So soll es sein, mein zartes, ruhiges, niedliches, stattliches, rosiges, honigsüßes Knäblein.

Es hat sich eine Frage zur Übersetzung von favifluidus ergeben: Kommt dieses Wort von favor oder von favus? Harmes übersetzt es „gnadeverströmend“ und schließt sich damit offenbar der ersten Möglichkeit an. Vermutlich müsste das Wort dann aber favorifluidus (?) heißen.

Hoffentlich könnt ihr noch viele andere spannenden Beobachtungen machen in den Weihnachtsferien :) Frohes Fest und gutes neues Jahr!

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