003 – Latein ist schon lange tot

Diesmal beschäftigen wir uns mit einem Gedicht von Giovanni Pascoli, den Sosii fratres bibliopolae. In diesem Text treffen wir auf griesgrämige Literaturkritiker, einen jungen Dichter und alte Freunde und lernen nebenbei, dass noch an der Wende zum 20. Jahrhundert sprachlich einwandfreie und ästhetisch ansprechende, anspielungsreiche lateinische Texte produziert werden.

gesamter Text (lateinisch), Übersetzungen stammen jeweils von Nadine Fröhlich.

Am Anfang des Texts markiert die groß geschriebene Passage VERE NOVO (WENN DER NEUE FRÜHLING KOMMT) ein Zitat aus Vergils Lehrgedicht über den Landbau (Verg. georg. 1,43). Der Klang des Vergiltextes erfüllt den Laden, weil gerade diktiert wird – es wird also gerade eine neue Buchrolle mit dem Text hergestellt, welche später im Laden verkauft werden soll. Im weiteren Verlauf des Texts erklingen immer wieder Georgica-Passagen; entsprechend dieser engen Verflechtung des Sosii-Textes und der Sosii-Handlung mit Vergils Georgica wird in unserem obigen Textausschnitt auch der Schreibvorgang mit der Landwirtschaft verknüpft: „auf weißen Blättern säten sie [die Kopisten] Schwarz aus„. Solche Bezüge zwischen Texten gehören zur so genannten Intertextualität, welche besonders für die lateinische Literatur von Bedeutung ist – vielfältige Anspielungen und Zitate offenbaren oft ganz neue Bedeutungsebenen.

Zitate dieser Art stellen eine Schwierigkeit für Übersetzende dar: Soll der akustische Eindruck des lateinischen Zitats erhalten bleiben und der Wortlaut daher nicht übersetzt werden, weiß die Leserschaft vermutlich nicht, was inhaltlich gemeint ist. Übersetzt man das Zitat hingegen wie hier ins Deutsche, entfällt dafür das „Echo“. Außerdem können Leserinnen und Leser heutzutage vermutlich nicht ohne weiteres das Zitat als solches erkennen, geschweige denn seinen Kontext abrufen – deshalb sind Anmerkungen und Erklärungen dringend notwendig. Gar nicht so einfach, zu übersetzen, oder?

Im Setting dieses antiken Buchladens treten schließlich einige Figuren auf, besonders auffällig ein „Ich-weiß-nicht-wer“, der sich später als Pompeius Varus entpuppt, ein Freund des Horaz (Quintus Horatius Flaccus). Gemeinsam haben die beiden während des Bürgerkriegs in der Schlacht bei Philippi gekämpft und treffen im Rahmen der Sosii im Buchladen nach langer Zeit wieder aufeinander. Als im Rahmen des Diktats ebenfalls die Rede von dieser Schlacht ist, erinnern sich die beiden Männer an ihre Zeit im Krieg (Pascoli, Sosii 184-194).

Parallel zu den Georgica verschiebt sich der Blick schließlich jedoch weg vom Krieg hin zum Landbau: Die verbliebenen Reste der Schlacht werden im wahrsten Sinne des Wortes untergepflügt. Vielleicht kann man diese Stelle so lesen, dass die Dichtung, welche ja zu Beginn der Sosii eng mit der Landwirtschaft verknüpft wurde, als Mittel gegen den Krieg dargestellt wird? In eine ähnliche Richtung geht auch der Schluss des Gedichts, in dem der Dichter Horaz (und eben nicht der Soldat Pompeius Varus), erneut in Synchronisation mit dem gerade diktierten Text der Georgica, noch ein Friedensgebet spricht (Pascoli, Sosii 195-204).

Nicht zuletzt aufgrund der untergebrachten Georgica-Zitate ist mit den Sosii ein lateinischer Text entstanden, der sich sprachlich nur schwer von „klassischen“, „antiken“ Gedichten unterscheiden lässt, wenn überhaupt. Von zwangsläufigem sprachlichem Verfall mit wachsendem zeitlichem Abstand zu Autoren wie Vergil und Horaz kann also kaum die Rede sein. Die Sosii sind kompositorisch vielschichtig und einfach ein toller und nicht zuletzt unterhaltsamer Text, den es sich zu kennen lohnt.

Leider könnt ihr die gesamte Übersetzung von Nadine Fröhlich aufgrund von urbeherrechtlichen Bedenken hier nicht lesen. Noch nicht, denn sie wird bereits zur Publikation vorbereitet! Sobald es soweit ist, verlinken wir euch die Ausgabe hier.

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